Als das Bundeskabinett am 12. November das aktualisierte Gedenkstättenkonzept des Bundes verabschiedete, äußerte Kulturstaatsminister Weimer, dass die Bundesrepublik Deutschland eine dauerhafte Verantwortung trage, die staatlich begangenen Massenverbrechen des 20. Jahrhunderts aufzuarbeiten und der Opfer zu gedenken. Zu diesen Massenverbrechen zählt die Bundesregierung die SED-Herrschaft in der DDR. Eine entscheidende Erinnerung bleibt in diesem Konzept aber ausgeklammert: die an die Verbrechen des deutschen Kolonialismus und an seine verheerenden Folgen. Die kolonialen Grenzziehungen, die millionenfache Unterdrückung, Ausbeutung und Entwurzelung sowie der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts sind Teil dieser düsteren Geschichte. Die Folgen der deutschen Kolonialpolitik sind in Form von wirtschaftlichen Abhängigkeiten oder auf Grenzfragen basierenden Konflikten bis heute Realität.
Das Fundament der deutschen Erinnerungspolitik bildet das sogenannte Gedenkstättenkonzept des Bundes. Daher zeugt die bewusste Entscheidung, den deutschen Kolonialismus – entgegen anderweitiger Planungen – nicht in das aktualisierte Gedenkstättenkonzept aufzunehmen, von politischer Ignoranz gegenüber der unabweisbaren Notwendigkeit, die deutsche Geschichte in ihrer Gesamtheit zu würdigen.
Täterorte des Kolonialismus existieren – sie werden jedoch ignoriert
Immer wieder wird das Argument vorgebracht, dass es in Deutschland keine Gedenkorte für den Kolonialismus gäbe. Dabei existieren in Deutschland zahlreiche Orte, die sich dafür geradezu aufdrängen würden, weil sie eng mit den Verbrechen des deutschen Kolonialismus verwoben sind. Ein prominentes Beispiel ist die Wilhelmstraße in Berlin, wo die deutsche Kolonialpolitik maßgeblich koordiniert wurde und wo die Berliner Konferenz stattfand, in der endgültige Unterwerfung und Entrechtung Afrikas durch die Europäischen Mächte orchestriert wurde.
Auch Orte, an denen Menschen während der Kolonialzeit in perverser Weise in den sogenannten „Völkerschauen“ in zahlreichen deutschen Städten präsentiert wurden, sind Teil dieses verdrängten Erbes. Hinzu kommen Institutionen, wie beispielsweise die ehemalige Kolonialschule Witzenhausen, wo die Siedler auf „ihre neue Heimat“ vorbereitet wurden. Noch heute lagern in deutschen Institutionen nicht nur geraubte Kulturschätze, sondern buchstäblich Berge an menschlichen Gebeinen.
Diese Orte sind nicht nur Relikte einer dunklen Geschichte, sondern auch Teil der Erinnerung, die im öffentlichen Raum und in der öffentlichen Wahrnehmung endlich den Platz finden sollte, der ihr zusteht. Trotz der Existenz dieser Orte und ihrer zentralen Bedeutung für das
deutsche koloniale Erbe bleibt der Kolonialismus jedoch in der offiziellen Gedenkstättenpolitik unseres Landes unsichtbar.
Eine zukunftsfähige Erinnerungspolitik
Ein Land, das sich als Demokratie und Menschenrechtsstaat definiert, kann es sich nicht leisten, seine koloniale Geschichte in seiner Erinnerungskultur auszublenden.
Es ist ein Versäumnis, das Deutschland seiner Verantwortung als globale politische Macht nicht gerecht wird, und es ist ein Versäumnis, das sowohl den von deutschem Kolonialismus betroffenen Ländern und Gemeinschaften als auch unserer Gesellschaft einen Mangel an Respekt signalisiert. Koloniales Unrecht zu benennen, bedeutet nicht, andere Kapitel der deutschen Geschichte zu relativieren. Es bedeutet vielmehr, Verantwortung für das eigene Handeln in einer Welt zu übernehmen, in der Länder des Globalen Südens zunehmend an politischer und wirtschaftlicher Bedeutung gewinnen.
Eine zukunftsfähige Erinnerungspolitik muss daher gerade in einer pluralen Gesellschaft alle Aspekte der deutschen Geschichte einbeziehen. Gedenken darf nicht exklusiv sein, sondern muss demokratisch, lernfähig und solidarisch gestaltet werden – als Grundlage für stabile Verhältnisse zu den ehemaligen Kolonien und für eine glaubwürdige demokratische Identität Deutschlands.
Awet Tesfaiesus ist seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. Für ihre Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen ist sie Obfrau im Kulturausschuss und zuständige Berichterstatterin für die Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus. Außerdem ist sie Mitglied im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss sowie im Unterausschuss Auswärtige Kultur – und Bildungspolitik.


