Über Awet in leichter Sprache
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Hallo!
Mein Name ist Awet Tesfaiesus und so sehe ich aus:
Ich bin verheiratet und habe ein Kind. Ich wohne in Kassel. Das ist eine Stadt im Norden von Hessen.
Ich wurde in der Stadt Asmara geboren. Asmara ist eine sehr schöne Stadt in dem Land Eritrea. Und das Land Eritrea liegt auf dem Kontinent Afrika.
In Eritrea schreibt man meinen Namen mit anderen Buchstaben. Dann sieht mein Name so aus: ዓወት ተስፋየሱስ.
Mein Name hat auch eine Bedeutung. „Awet“ bedeutet „Sieg“ in der Sprache Tigrinya; ähnlich, wie bei dem Namen „Victoria“. Victoria bedeutet nämlich auch „Sieg“, aber in der Sprache „Latein“. Den Namen Victoria gibt es in Deutschland häufig. Mein Name ist andererseits sehr selten. Aber das stört mich nicht. Ich mag ihn.
Viele Menschen in meiner Familie glauben an Gott. Aber nicht alle in meiner Familie glauben und beten auf die gleiche Art. Ich bin zum Beispiel evangelisch und Mitglied der evangelischen Kirche. Mein Papa ist auch evangelisch, aber meine Mama ist orthodox. In meiner Familie gibt es außerdem Menschen, die auf katholische, muslimische und jüdische Weise beten. Und manche glauben gar nicht an einen Gott.
Als ich noch ein Kind war, kam ich mit meinen Eltern nach Deutschland. Damals gab es den Staat Eritrea noch nicht. Unsere Stadt, Asmara, gehörte damals noch zum Land Äthiopien. Und weil es damals Krieg gab und meine Eltern von der Regierung verfolgt wurden, mussten wir fliehen.
Ich habe viel von der Flucht vergessen. Aber ich weiß noch, wie ich damals zwischen meiner Mama und meiner großen Schwester auf einem Kamel saß und durch die Wüste geflohen bin. Wir sind sehr lange geritten und es war Nacht. Daran erinnere ich mich noch sehr genau.
Auf dieser Karte sind rote Kreise um die Länder Eritrea und Deutschland:
In Deutschland bin ich in einer kleinen Stadt in der Nähe von Heidelberg aufgewachsen. Die Stadt heißt Heddesheim. Dort leben ungefähr 12-tausend Menschen.
Nach der Schule habe ich in Heidelberg Jura studiert. Bei Jura geht es um die Gesetze und darum, was gerecht und fair ist.
So sah es damals ungefähr an meiner Uni aus:
Während meines Studiums habe ich auch lange als Kellnerin gearbeitet, um Geld zu verdienen.
Während der Ausbildung war ich erst an der Uni und dann habe ich bei einigen Gerichten gearbeitet. Im Jahr 2006 habe ich dann die Erlaubnis bekommen, als Anwältin zu arbeiten.
Anwälte helfen Menschen, wenn es Probleme mit dem Gesetz gibt oder wenn Menschen sich darüber streiten, was gerecht und fair ist. Zwei Jahre später habe ich in Kassel eine Kanzlei eröffnet (so heißt das Büro von Anwälten).
Als Anwältin habe ich Menschen geholfen, die in Deutschland Schutz suchen, weil sie verfolgt werden oder fliehen müssen. Außerdem habe ich geholfen, wenn Menschen Probleme mit dem Sozialamt oder mit der Krankenkasse hatten.
Ich habe als Anwältin gearbeitet bis mich viele tausend Menschen in den Deutschen Bundestag gewählt haben. Das war für mich eine große Ehre. Seit der Bundestagswahl im Jahr 2021 vertrete ich die Menschen, die mich in Hessen gewählt haben und den Wahlkreis 169.
Dieser Wahlkreis heißt „Werra-Meißner–Hersfeld-Rotenburg“ und liegt im Nord-Osten von Hessen an der Grenze zu Niedersachsen und Thüringen. So hübsch ist es in meinem Wahlkreis:
Politik
Seit der Bundestagswahl im Jahr 2021 bin ich Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Man sagt dazu auch „Mitglied des Bundestages“. Und die Abkürzung dafür ist MdB.
Der Deutsche Bundestag ist das mächtigste deutsche Parlament. In diesem Parlament werden die Gesetze gemacht, die für alle in ganz Deutschland gelten. Es gibt auch noch Parlamente in allen Bundesländern, zum Beispiel in Hessen, Baden-Württemberg oder Bayern. Da werden auch Gesetze gemacht. Die gelten aber nur in diesem Bundesland. Aber der Bundestag ist für unser ganzes Land zuständig.
Auf diesem Foto stehe ich vor dem Reichstagsgebäude (so heißt das Haus, in dem der Bundestag arbeitet):
Bevor mich die Menschen in den Bundestag gewählt haben, habe ich lange ohne Bezahlung politisch gearbeitet.
Vor vielen Jahren bin ich Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen geworden. Oft nennt man die Parteien nur „Die Grünen“, weil das schneller geht. Aber ich mag den ersten Teil des Namens sehr gern und finde es schade, wenn er weggelassen wird. Also sage ich gern „Bündnis 90/Die Grünen„.
Die Farbe der Partei ist grün. Das ist natürlich nicht sehr überraschend. Das ist das Logo von Bündnis 90/Die Grünen:
Und das Symbol der Grünen ist die Sonnenblume. Die Sonnenblume sieht so aus:
Drei Jahre lang war ich im Vorstand der Kasseler Grünen. Der Vorstand kümmert sich darum, dass alles organisiert wird. Fünf Jahre lang war ich dann im Stadtparlament von Kassel.
Im Stadtparlament habe ich mich darum gekümmert, dass alle Menschen mitmachen können, wenn wir gemeinsam unsere Dinge regeln und, dass alle Menschen gehört werden, wenn sie etwas sagen möchten. Das nennt man Integration und Demokratie.
Außerdem ging es mir besonders darum, dass alle Menschen dieselben Chancen im Leben haben, egal welches Geschlecht sie haben. Das finde ich wichtig, weil es im Leben nicht immer gerecht zugeht. Ich finde es deshalb auch wichtig, dass Chancen gerecht verteilt werden.
Dann war ich ein paar Jahre stellvertretende Fraktionsvorsitzende in Kassel. Das Wort „Fraktion“ kommt aus der Sprache „Latein“ und bedeutet ungefähr soviel wie ein „Teil“ oder ein „Stück von etwas Großem“. Wie ein Tortenstück ein Stück von einer großen Torte ist. Eine „Fraktion“ ist eigentlich wie ein Club, wo sich die Menschen treffen, die in einem Parlament sitzen und in derselben Partei sind.
Als ich noch im Stadtparlament von Kassel war, habe ich auch schon einen Ausschuss geleitet. In einem Ausschuss treffen sich alle Menschen, die in dem Parlament sind und dasselbe Thema bearbeiten. Egal in welcher Partei sie sind.
Seitdem ich Bundestagsabgeordnete bin, bin ich nicht mehr im Stadtparlament von Kassel. Heute arbeite ich auch nicht mehr für Geld als Anwältin. Manchmal (aber ganz selten) helfe ich noch, wenn Menschen Probleme mit den Gesetzen haben, aber dafür nehme ich jetzt kein Geld mehr.
Schwarz mit großem „S“
Schwarze Menschen gab es in Deutschland sogar schon, als unser Land noch Fürsten, Könige und Kaiser hatte. Seit dem gab es viele demokratische Wahlen für unser oberstes Parlament. Aber ich bin die erste Schwarze Frau, die in den Deutschen Bundestag gewählt wurde. Die erste jemals.
Schwarzen Menschen hat man oft Namen gegeben. Nur selten, durften sie sich ihre Namen selbst geben. Sehr oft hat man ihnen einen Namen gegeben ohne sie zu fragen, ob sie den Namen mögen. Manche Namen wurden ihnen sogar gegeben, um sie zu verletzen.
Deshalb schreibe ich „Schwarz“ übrigens immer groß, wenn es um mich geht. Das ist mir wichtig. Wenn man „Schwarz“ mit einem großen „S“ schreibt, ist sofort klar, dass damit keine Farbe wie rot oder blau gemeint ist. „Schwarz“ ist ein Wort, das heute ziemlich viele Menschen für sich selbst gewählt haben
Wenn ein Mensch ein Wort für sich selbst wählt, zeigt das, dass dieser Mensch selbst über sich bestimmt. Das nennt man „Eigenbezeichnung„. „Schwarz“ ist also eine „Eigenbezeichnung“ für mich und für viele andere Menschen. Das finden viele Schwarze Menschen viel besser, als wenn ihnen einfach ein Name gegeben wird. So geht es mir auch.
Auf diesem Bild bin ich zu sehen. Ich bin eine Schwarze (mit großem „S“) Frau, die schwarze (mit kleinem „s“) Kleidung trägt:
Viele Menschen benutzen das Wort „Schwarz“ mit einem großen „S“ mit sehr viel Stolz.
Viele denken aber dabei auch daran, dass sehr viele Menschen schlimm gelitten haben, damit ich und andere heute das Wort „Schwarz“ und die Schreibweise mit einem großen „S“ frei wählen können.
Viele empfinden deshalb auch Demut, wenn sie das Wort Schwarz für sich selbst verwenden. Demut bedeutet, dass man bescheiden sein möchte und nicht denkt, dass man besser oder wichtiger ist als andere Menschen. Es heißt, dass man weiß, dass man nicht die wichtigste Person auf der Welt ist und, dass man von anderen Menschen lernen kann. Demut zeigt sich auch, wenn man dankbar ist für das, was man hat, weil man weiß, dass andere dafür gekämpft haben. Es geht also darum, Respekt vor anderen Menschen und vor dem Leben selbst zu haben.
Im Bundestag arbeiten
Im Bundestag arbeite ich für die grüne Fraktion im Rechtsausschuss und im Ausschuss für Kultur und Medien. Meine Themen sind also „Recht“ und „Kultur„. Das ist ganz praktisch, weil ich mich ja als Anwältin mit dem Recht und dem Gesetz ganz gut auskenne.
Dieses Foto zeigt mich, bei meiner Arbeit in einem Ausschuss des Bundestages:
Besonders viel Spaß macht mir aber die Arbeit im Bereich „Kultur und Medien„. Denn ich liebe Kunst. Und ich mag es, mit den Menschen zu arbeiten, die Kunst machen.
Auf diesem Foto bin ich mit Menschen zu sehen, die Kunst machen:
Außerdem bin ich Mitglied in einer besonderen Gruppe, in der Mitglieder aus den Parlamenten von Deutschland und Frankreich sind.
Das finde ich toll, denn ich liebe Sprachen sehr. Ich spreche nämlich Deutsch, Englisch und die Sprache meiner Eltern, Tigrinya. Tigrinya wird in Eritrea und Äthiopien gesprochen. Außerdem kann ich ziemlich gut Arabisch und Französisch. Ein bisschen verstehe ich außerdem Italienisch, Hebräisch (das spricht man in Israel) und Hindi (das spricht man in Indien).
Ich finde es total praktisch, wenn man viele und sehr unterschiedliche Sprachen kann. Denn dann versteht man Menschen einfach besser. Aber viele Leute aus Frankreich sprechen ja auch gut Deutsch; irgendwie verstehen sich Freunde ja immer.
Leider spreche ich noch keine slawische Sprache. Slawische Sprachen sind zum Beispiel Polnisch, Russisch, Tschechisch oder Ukrainisch. Vielleicht lerne ich eines Tages noch eine davon, wenn ich etwa mehr Zeit habe.
Gegen den Faschismus
Eine Sache ist mir ganz wichtig: nämlich, dass ich Gewalt absolut nicht mag. Es gibt viele Arten von Gewalt, aber ich mag keine davon! Und wenn man Gewalt benutzt, um Politik zu machen, dann finde ich das sehr schlimm. Das wissen eigentlich auch alle.
Manchmal ist es natürlich notwendig sich zu wehren, oder man muss Gewalt benutzen, um zu helfen, damit nicht etwas noch schlimmeres passiert. Dann ist Gewalt natürlich immer noch schlecht, aber vielleicht ausnahmsweise mal ok. Tief im Herzen fühlen alle Menschen, dass Gewalt falsch ist. Da bin ich sicher.
Aber manchmal sagen Menschen sogar, dass die Gewalt etwas Gutes ist. Sie sagen, dass zu einer angeblich „natürlichen Ordnung“ Gewalt gehört und man sogar mit Gewalt handeln sollte, damit die Welt angeblich gut wird und zu einer angeblich „natürlichen Ordnung“ zurück findet.
Sie sagen auch, dass alles eine bestimmte Ordnung haben muss, in der die Starken sagen, was die Schwachen machen müssen.
Dazu gehört dann oft auch, dass Menschen über andere Menschen bestimmen wollen. Zum Beispiel sagen sie dann welche Berufe man ausüben darf oder wo und und wie man leben soll und, wen man lieb haben darf.
Und manchmal töten sie sogar Menschen, weil sie angeblich falsch aussehen oder auf die angeblich falsche Weise (oder gar nicht) an Gott glauben.
Wenn Leute also Stärke gut finden und Schwäche nicht; und wenn zum Beispiel sagen, dass Gewalt gut ist und nur starke Menschen wertvolle Menschen sind, dann nennt man das Faschismus.
Es ist schwer Faschismus in einem Bild darzustellen. Aber ich finde, in diesem Bild bekommt man einen Eindruck, wie sich Faschismus anfühlt:
Zum Faschismus gehört, dass man Stärke und Gewalt toll findet und Menschen haßt. Dieser Haß richtet sich besonders gegen Menschen, die nicht sehr Stark sind, nicht viel Geld haben oder, die allein sind. Eine besondere Form von Haß, nennt man Rassismus.
Faschismus das finde ich total falsch. Auf diesem Foto halte ich zum Beispiel ein Bild von Ferhat Unvar:
Ferhat und viele andere Menschen wurden vor ein paar Jahren in Hanau brutal von einem Mann getötet der Faschist und Rassist war.
Ich meine, Faschisten liegen falsch. Ich denke, dass es genau andersherum ist.
Ich glaube, dass man echte Stärke bei denen findet, die schwach sind.
Ich glaube, dass man den echten Mut bei denen findet, die Angst haben.
Und ich glaube, dass man Menschen bewundern sollte, die einen anderen Weg gehen und für sich entscheiden, dass sie anders leben wollen als die anderen Leute.
Aus diesen ganzen Gründen bin ich gegen Faschismus und Rassismus. Denn Faschismus ist das Gegenteil von Liebe und Menschlichkeit.
Das wünsche ich mir
Ich wünsche mir eine Welt, in der für alle Platz ist und wo niemand Gewalt erleben muss.
Ich wünsche mir eine Welt, in der sich Menschen helfen und nicht gegeneinander kämpfen.
Ich wünsche mir eine Welt, in der Glück, Freude und Traurigkeit erlaubt sind.
Und ich wünsche mir eine Welt, in der die Menschen vergessen haben, was das Wort „hoffnungslos“ bedeutet.
Weil unsere Welt noch nicht so ist, sollten wir alle dafür arbeiten, dass sie so wird.
Dafür dass diese Wünsche wahr werden, arbeite ich.